Neulich haben wir Ihnen schon den deutschen Philosophen Immanuel Kant (1724 – 1804) untergejubelt. In seinem Aufsatz „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“, ermuntert derselbe Kant seine Zeitgenossen zum Selberdenken mit dem lateinischen Spruch „Sapere aude!“ Das heißt auf Deutsch etwa: „Wage es, Dich Deines Verstandes zu bedienen!“ Selber denken und seinen eigenen Verstand einschalten ist in unseren so genannten „postfaktischen“ Zeiten bzw. angesichts von „fake news“ ja vielleicht nicht die schlechteste Empfehlung. Übrigens handelt es sich um ein Zitat des lateinischen Dichters Horaz. Im vollen Wortlaut heißt es: „Dimidium facti, qui coepit, habet: Sapere aude, incipe.“ Das heißt in etwa: „Die Hälfte des Gemachten hat, wer anfängt: Trau dich zu denken, fang an!“
Genug Latein! Worauf es ankommt, ist, tatsächlich anzufangen, am besten mit guter Überlegung, dann aber auch mit Handeln. Siehe da, die Hälfte ist dann rasch erledigt. Aber wir kennen es ja alle: Das Auf- und Beiseite-Schieben, Hin- und- her- und Immer-wieder-anders-Überlegen. Schließlich gilt: „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“ Dieser Satz des französischen Schriftstellers und Malers Francis Picabia (1879-1953) bedeutet jedoch nicht, dass unser Kopf rund wäre, damit wir die Gedanken immer wieder kreisen lassen – wenn es z. B. darum geht, endlich eine neue Heizung anzuschaffen, moderne Fenster einzubauen, das Haus oder Dach zu dämmen, kurzum: eine energieeffiziente Sanierung anzugehen. Stoppen Sie Ihr Gedankenkarussell, fangen Sie an! Dann ist die Hälfte bald gemacht.
Konkret: Denken Sie mal nicht nur an die bei Sanierungen notwendigen Ausgaben, sondern wechseln Sie die Richtung, denn deswegen ist ja der Kopf rund: Was kann ich tun für den Klimaschutz und fürs Energie- und (auf längere Sicht betrachtet) Kostensparen? Denken Sie auch nicht immer in der folgenden Richtung: Die wichtigen Leute in der Politik und Wirtschaft reden zwar immer viel von Umwelt- und Klimaschutz, aber es passiert doch nichts Richtiges. Aber lassen Sie sich auch kein X für ein U vormachen! Denn wer einem ein X für ein U vormacht, will jemanden betrügen. Dabei sehen die beiden Buchstaben doch völlig verschieden aus, denken Sie jetzt.
Verzeihung, wir kommen wieder aufs Lateinische zurück, jetzt allerdings auf die lateinische Schrift, die wir schließlich immer noch verwenden. Im lateinischen Alphabet steht der Buchstabe U oft für das V, und das V ist gleichzeitig das Zeichen für die Zahl Fünf. Das kennt man ja aus der alten lateinischen Schreibweise: I ist 1, V ist 5, und X ist 10. Und aus einem V lässt sich ganz leicht, wenn man einfach die beiden Striche nach unten verlängert, ein X machen. So werden auf einer Rechnung aus fünf Geldstücken zehn Geldstücke. Wenn Schuldner früher ihre Geldbeträge bezahlen mussten, wurde ihnen oft ein X für ein V vorgemacht; ihre Gläubiger hatten durch diesen simplen Trick ganz einfach die Summe auf dem Schuldschein verdoppelt. Und weil der Buchstabe U für das V steht, heißt es heute "ein X für ein U vormachen", wenn es sich um Täuschungen oder Betrügereien handelt.
Also: Lassen Sie sich von niemandem ein X für ein U vormachen*, schalten Sie Ihren Verstand ein, machen Sie sich selber Gedanken – aber grübeln Sie nicht zu lange, sondern fangen Sie an!
*Das würde ja bedeuten, sich übers Ohr hauen zu lassen. Diese Redensart wiederum kommt aus dem Fechtsport. Jemanden über dem Ohr am Kopf zu treffen ist zwar raffiniert, gilt aber als unfein, denn dort tut’s besonders weh!