1. Der Philosoph Immanuel Kant hat gegen Ende seines Lebens die Schrift „Zum ewigen Frieden“ (1795) veröffentlicht. Gleich am Anfang räumt er ein, dass es den ewigen Frieden vermutlich niemals geben werde. Er bleibe eine Utopie (von griechisch où tópos, was Nicht-Ort bedeutet). Eine Utopie ist allerdings keine bloße Wunschvorstellung, sondern die Vorstellung eines besseren Zustandes als der gerade herrschende, und zwar - wie im Falle des ewigen Friedens – sozusagen zu 100 Prozent. Und obwohl die 100 Prozent, also der ewige Frieden, vermutlich niemals erreicht werden könne, meint Kant, solle man sich diese Vorstellung zum Muster oder Leitbild, Kant sagt: zur Richtschnur für sein aktuelles Handeln nehmen. Die optimistische Erwartung Kants ist deshalb: Wenn nach dieser 100-Prozent-Vorgabe gehandelt wird, kommen die Menschen dem ewigen Frieden Stück für Stück näher, auch wenn sie ihn nie erreichen. Diese Vorgehensweise ist also durchaus pragmatisch. Man könnte also von einer pragmatischen Utopie sprechen, was sich ja zunächst paradox anhört. Ein solches, an einer utopischen Zielvorgabe orientiertes Handeln wirkt sich dann positiv auf die realen Verhältnisse aus und verbessert die Lebenssituation der aktuell lebenden Menschheit, macht im Falle der Orientierung am ewigen Frieden die Welt friedlicher, Darüber hinaus dient dies den berechtigten Interessen oder Bedürfnissen aller Menschen, der Menschheit also, auch wenn es sich um in entlegenen Teilen der Erde oder erst in der Zukunft lebende handelt.
2. In Bezug auf das Klima der Erde hieße die Utopie nach diesem Verständnis: Dauerhaftes gutes Klima und gute Lebensbedingungen für alle Menschen und alle anderen Lebewesen. Auch dies wird es vermutlich wie den ewigen Frieden niemals geben. Aber dieses Ziel zur Richtschnur zu nehmen, bedeutete, durch ein konkretes Handeln jetzt, die realen Verhältnisse bereits zu verbessern und eine bessere Zukunft für die künftigen Generationen anzubahnen. Demgegenüber wirken die Prozentvorgaben beim aktuellen Klimaschutz – so merkwürdig es klingt – keineswegs wie eine pragmatische Utopie nach dem Muster Kants. Da steckt die Kleinmütigkeit bzw. Halbherzigkeit bereits im Ziel. Und dann, wie bereits mehrfach geschehen, werden diese kleinmütigen, halbherzigen Zielvorgaben auch noch reduziert, wenn sich abzeichnet, dass sie nicht erreicht werden können. Eine Politik nach diesem Muster ist nicht überzeugend, zumal dabei lediglich die Interessen der aktuell lebenden Menschen und der führenden Industrienationen berücksichtigt zu sein scheinen. Die Bedürfnisse der künftigen Generationen und der Menschen in Teilen der Erde, die in der aktuellen Weltpolitik momentan keine große Rolle spielen, werden dabei nicht oder zu wenig berücksichtigt. Auf den Weltwirtschaftsgipfeln sind die Südseeinseln, die durch den Anstieg der Weltmeere versinken, nicht vertreten. Und dort macht sich auch kaum jemand wirklich zum Sprecher der künftigen Generationen.
3. Wenn Ihnen das unter 1 und 2 Gesagte plausibel erscheint, können Sie Ihre ganz persönlichen Konsequenzen ziehen. Einfach ist das nicht. Auf der einen Seite stehen Politik, Weltwirtschaftsordnung, Wissenschaft und Forschung, weltanschauliche Prinzipien, Glauben und Wissen, fundierte Analysen und seriöse Prognosen, dazu noch allerlei Verschwörungstheorien, diffuse Ängste und wilde Spekulationen. Auf der anderen Seite stehen Sie selbst mit einer eigenen Haltung und eigenem Verhalten. Schauen Sie sich Ihren Alltag an, überprüfen Sie, wofür Sie Energie und Ressourcen verbrauchen und wie viel davon Ihnen wirklich wichtig ist. Probieren Sie selbst alternative Verhaltensweisen und Gewohnheiten aus! Dazu gehört auch das Verhalten in der Freizeit und im Urlaub. Mit anderen Worten, Sie haben die Wahl: Sie können der 100-Prozent Utopie eines dauerhaften gesunden Klimas ganz pragmatisch Schritt für Schritt näher kommen, auch wenn Sie sicherlich nicht allein die Welt retten werden; Sie können wie die große Politik Ihre Ziele immer wieder reduzieren, weil Sie denken, diese seien nicht erreichbar; und Sie können solche Überlegungen von vornherein ablehnen, weil Sie den Eindruck haben, es sei ohnehin bereits zu spät.